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Wieso Reiseführer auch heute noch ihre Berechtigung haben

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Die einen vertrauen auf sie, andere lehnen sie kategorisch ab. Nicht erst seit ich selber einen Reiseführer geschrieben habe, bin ich ein begeisterter Nutzer. In diesem Artikel nenne ich die sechs häufigsten Mythen und Vorurteile über die praktischen Helferchen auf jeder Reise.

An einem sonnigen Herbsttag vor einigen Jahren stiess ich mit einem frisch gekauften Lonely Plant unter dem Arm auf eine ehemalige Arbeitskollegin. Als sie den Reiseführer sah, verfinsterte sich ihre Miene etwas und sie erklärte in einem fast schon missionarischem Ton: “Wir würden uns niemals dem Diktat eines Reiseführers unterwerfen.” Vorgekaute Routen, so betonte sie, kämen für sie und ihren Mann nicht in Frage. Schliesslich wollen sie die Welt selber entdecken.

Nun habe ich an diesem Wunsch, den ich auf meinen Reisen schon in hundertfacher Variation gehört habe, grundsätzlich nichts auszusetzen. Ganz im Gegenteil: Sich einer vollkommen fremden Umgebung ausgesetzt zu sehen und sich nach und nach zurecht zu finden, ist eine grandiose Erfahrung, die ich nicht missen möchte und die meiner Meinung jeder einmal machen sollte.

Trotzdem irritieren mich einige der häufig vorgetragenen Argumente gegen Reiseführer immer wieder. Deswegen will ich in diesem Artikel die häufigsten Mythen und Vorurteile gegen Reiseführer aufzählen und erklären, wieso es sich lohnt, sich über deren Richtigkeit Gedanken zu machen. (Und wer mir nun vorwerfen möchte, dass ich als Autor eines Zürich-Reiseführers* beim Thema befangen sei, den weise ich darauf hin, dass dieser Artikel ursprünglich bereits 2014 erschien, als Bücherschreiben für mich noch kein Thema war.)

Übrigens: Ein paar Tage, nachdem ich die erwähnte Kollegin auf der Strasse traf, unterhielten wir uns erneut übers Reisen. Sie wollte mir Tipps über schöne Orte geben, die sie und ihr Mann damals „entdeckt“ hatten. Die Ironie der Geschichte: Es waren genau die Orte, die auch in meinem neuen Lonely Planet gross gefeatured waren.

Wir wollen Entdecker sein: Reiseführer, nein Danke!

 

1. Mit Reiseführern landest du in Touristenfallen

Ein häufig genanntes Argument der Guidebook-Kritiker ist, dass sie nicht mit 20 andern Touristen am Tisch sitzen wollen, die alle im gleichen Buch blättern. Auch wenn ich das Gefühl grundsätzlich verstehe, glaube ich nicht, dass das Verschmähen von Reiseliteratur jemand diesem Ziel näher bringt. Ganz im Gegenteil: Ein guter Reiseführer klärt im Vorfeld darüber auf, was man von einer Unterkunft oder einem Restaurant zu erwarten hat.

Wer einen Reiseführer besitzt, kann schon vor der Ankunft im Hotel entscheiden, ob er lieber mit Backpackern aus aller Welt feiert oder ob er sich in einer distinktuierten Gesellschaft wohlfühlt. Allerdings haben gerade bei der Hotelwahl Reiseführer seit dem Aufkommen von Buchungsplattformen wie booking.com* sowieso so stark an Bedeutung verloren, dass verschiedene Reihen mittlerweile ganz auf Hoteltipps verzichten.

Das Gleiche gilt aber auch für Dörfer, Städte und Sehenswürdigkeiten: Ein guter Reiseführer wird in der Regel auch Orte erwähnen, die zwar sehenswert sind, aber auf Grund ihrer ungünstigen Lage kaum besucht werden. Wer auf Reisen alleine sein möchte, kann solche Orte problemlos finden. Man sollte dabei allerdings auch nicht vergessen, dass die viele Orte deswegen von so vielen Menschen besucht werden, weil sie wirklich schön, historisch wichtig oder sonst einzigartig sind.

Auch interessant: Wieso es sich lohnen kann, auf ausgetretenen Pfaden zu reisen

Vorurteile gegenüber Reiseführer: Du landest in Touristenfallen wie das Taj Mahal.
Das Taj Mahal: Touristenfalle oder schönstes Gebäude Indiens?

 

2. Die Informationen im Reiseführer sind veraltet

Ein weiteres häufig genanntes Argument gegen Reiseführer ist, dass sie zum Erscheinungstermin bereits veraltet seien. Natürlich braucht ein Autor eine Weile, um alle Orte zu besuchen, dazu kommt noch die Zeit, die mit dem Lektorat und dem Layout draufgehen. Ein frisch erschienenes Buch kann also durchaus auf Informationen basieren, die teilweise ein Jahr zuvor recherchiert wurden.

In der Realität ist das allerdings aus zwei Gründen kein grosses Problem: Erstens ist vieles weitaus statischer als man erwarten würde: Eine mittelalterliche Kleinstadt wird mit grösster Wahrscheinlichkeit auch ein halbes Jahr später noch malerisch sein. Und da Schienen nicht über Nacht nicht ihre Route ändern, bleiben auch die Verkehrsverbindungen ähnlich. Grössere Veränderungen bekommt ein Autor mit Sicherheit mit.

Zweitens – und das hat mich beim Schreiben meines eigenen Reiseführers eigentlich am meisten überrascht – ist es noch bis zum Vorabend des Drucks möglich, letzte Korrekturen anzubringen. Natürlich wird vor dem Erscheinen eines Buchs bei den Dingen, die sich potentiell verändern, noch einmal kurzfristig kontrolliert, ob irgendwelche Änderungen anfallen. Irgendwas schlüpft immer durch, das meiste fällt aber auf.

Hinzukommt: Was wäre denn die aktuellere Alternative? Blog-Artikel altern genauso wie die Erfahrungen, die andere Reisende in Facebook-Gruppen geben. Bei einem gedruckten Reiseführer sieht man immerhin, wie alt die Informationen sind und man hat die Gewissheit, dass die Informationen kurz vor dem Erscheinen noch einmal kontrolliert wurden.

Vorurteile gegenüber Reiseführern: Alles ist veraltet.
Allzu viel dürfte sich bei diesem mittelalterlichen Schloss seit Redaktionsschluss nicht verändert haben.

 

3. Bewertungsportale bieten grössere Meinungsvielfalt

Darüber, dass Hotelempfehlungen gegebenüber Bewertungsportale an Bedeutung verloren haben, sprachen wir bereits. Bewertungsportale gibt es mittlerweile für fast alles: Restaurants, Mietwagenanbieter, Sehenswürdigkeiten… Ja, sogar Flüsse, Städte und ganze Länder können bewertet werden.

Sie bieten eine Menge unterschiedliche Meinungen, die von vollkommener Begeisterung bis hin zur absoluten Ablehnung reichen, so dass man sich ein grobes Bild davon machen kann, was einen erwartet. Allerdings sollte man sich keine Illusionen über die Qualität der Beiträge machen. Wo Geld zu verdienen ist, gibt es eine grosse Versuchung, Bewertungen zu manipulieren.

Es können aber auch ganz andere Gründe sein. Vor einigen Jahren beispielsweise ertrank ein Indonesier in der Aare. Nachdem es nach dem tragischen Unglück in der Heimat einen Aufschreib gab, dass Schweizer Gewässer zu unsicher seien, schrieben hunderte Indonesier wütende Einstern-Reviews über den wunderschönen Fluss. Die Aussagekraft von so erhobenen Daten geht natürlich gegen Null.

Und selbst wo nicht manipuliert wird, besteht das Problem mangelnder Vergleichbarkeit. Die Bewertung eines an sich besseren Restaurants durch einen ewigen Nörgelers kann schlechter ausfallen als die Meinung eines allgemein zufriedenen Menschen zum miesen Imbiss an der Ecke. Je grösser die Zahl der Bewertungen ist, desto geringer wird dieser Effekt. Doch ein Reiseführer hat dieses Problem von Anfang an nicht, weil alles von der gleichen Person oder Personengruppe auf Grund klar definierten Kriterien bewertet wird.

Vorurteile gegen Reiseführer: Bewertungsportale sind besser
Wie gut ist dieses Restaurant wirklich?

 

4. Alle Infos finde ich auch (kostenlos) im Internet

Auch ich recherchiere vor meinen Reisen im Internet und lasse mich gerne von spannenden Erlebnisberichten für neue Ziele begeistern. Mittlerweile gibt es alleine im deutschsprachigen Raum locker 2000 Reiseblogs und viele davon sind echt gut. Wer kein Problem mit Englisch hat, findet sogar noch vieles mehr. Trotzdem gibt es zwei Probleme damit.

Das erste ist, dass der weltweite Tourismus ein Verteilungsproblem hat. Das am häufigsten besuchte Land der Welt (Frankreich) hat ungefähr gleich viel Besucher pro Jahr wie die hundert am wenigsten besuchten Länder. Das schlägt sich auf die Verteilung von Erfahrungsberichten nieder: Wer was zu Bali, Ko Samui oder Mallorca sucht, wird von der Vielfalt erschlagen, während es wiederum zu Äquatorial Guinea meines Wissens keinen einzigen deutschsprachigen Blogartikel gibt.

Das andere Problem ist, wann ich die Informationen am dringensten brauche. Bei mir ist das meistens, wenn ich in irgendeinem Provinzflughafen ohne Wifi gelandet bin und nicht weiss, wie ich am besten ins Stadtzentrum komme. Und nein: Taxifahrer fragen ist nicht immer die beste Idee! Datenroaming würde mich in wenigen Minuten finanziell ruinieren, weil ich noch keine lokale SIM-Karte habe. Oder vielleicht gibt der Handyakku auch nach einem langen Tag den Geist auf.

Doch selbst wenn alles Technische perfekt klappt, ist es doch sehr viel schneller und praktischer in einem Buch mit einer klaren Struktur nachzuschlagen, als planlos durch irgendwelche Webseiten zu surfen. Alleine für diesen Luxus bin ich gern bereit, 20 Euro pro Reise zu investieren und ein paar hundert Gramm zusätzlich auf dem Rücken zu tragen.

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Vorurteile gegenüber Reiseführern: Ich finde alles auch gratis im Netz.
Am Ende der Welt (hier: Innere Mongolei) hat man unter Umständen keinen Empfang.

 

5. Reiseführer sind schwer und teuer

Und da sind wir schon beim nächsten Punkt. Für einen vernünftigen Reiseführer muss man irgendwas zwischen 20 und 30 Euro hinblättern. Das klingt zwar nicht nach viel, kann sich aber auf einer längeren Weltreise summieren – vor allem für Backpacker mit einem kleinen Budget. Meiner Meinung ist das aber Geld, das sich auf der Reise schnell wieder amortisiert.

Dazu ein kleines Beispiel aus meinem Reisealltag: Vor einigen Jahren war ich in Ostjava auf dem Weg zum Ijen-Plateau, um mir einen Vulkan anzusehen. Weil mir das Angebot eines Fahrers zu hoch erschien, entschloss ich mich, mit dem öffentlichen Bus in den nächsten Ort zu fahren, von wo es nur noch etwa 20 Kilometer bis zum Feuerberg waren.

Als ich ankam, merkte ich bald, dass die lokale Taximafia die Preise für die letzten 20 Kilometer festschrieb. Es wäre billiger gewesen, wieder mit dem Bus nach Bondowoso zurückzukehren und von dort aus mit dem ersten Fahrer zu gehen. Hätte ich aufmerksam in meinem Reiseführer nachgelesen, dann wäre mir das nicht passiert. Das stand nämlich drin.

Das andere Thema ist das Gewicht. Ein fetter Reiseführer wiegt fast ein halbes Kilo. Mich stört das nicht. Aber wer optimieren will, bekommt schon für wenig Geld einen Ebook-Reader, der gerade mal hundert Gramm wiegt. Ein weiterer Vorteil: Digitale Ausgaben sind oft günstiger als gedruckte Bücher.

Vorurteile gegenüber Reiseführern: Sie sind schwer und teuer.
Reiseführer sind teuer und haben ein ziemliches Gewicht.

 

6. Nur wer ohne Reiseführer reist ist cool und frei

Letztlich gibt es aber auch eine psychologische Komponente, die zwar niemand so formuliert, die aber zweifellos eine bedeutende Rolle spielt. Vielen Reiseführer-Ächtern geht es vermutlich auch darum, sich als bessere und erfahrerere Traveller darstellen. Als die wahren Entdecker, die für ihre Erkundigen nicht auf Krücken wie einen Reiseführer angewiesen sind.

Ich bin da vielleicht ein bisschen altmodisch, aber ich halte Wissen und Informationen noch immer für wertvolle Güter. Deswegen kann ich einer Argumentation nicht wirklich folgen, die mir weiss machen will, dass ich mit halbverbundenen Augen fremde Kulturen besser kennenlernen kann und dass ich so sogar auf die wahren Geheimtipps stosse.

Natürlich ist das Argument nicht vollig verkehrt. Wer lange in einem Land gelebt, es ausgiebig bereist hat und vielleicht sogar die Sprache spricht, der braucht keinen Reiseführer, ja, kennt vielleicht sogar mehr schöne Ecken und versteht die Kultur besser als ein Reisebuchautor. Aber bis es so weit ist, braucht es eine Menge Recherche. Und dafür ist ein Reiseführer ein guter erster Schritt.

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Richtige Abenteurer verirren sich! Oder etwas doch nicht?

 

Schlussbemerkung

Ich möchte mit diesem Artikel niemanden bekehren. Jeder muss auf seine eigene Art und Weise glücklich werden. Wem es wichtig ist, etwas ohne Hilfe zu entdecken, der soll dies so machen. Ich kann den Wunsch verstehen, Grenzen zu überwinden und an einer Herausforderung zu wachsen. Oder auch einfach nur, eine planlose Auszeit zu geniessen.

Das ist alles vollkommen in Ordnung. Trotzdem finde ich, dass man sich einmal Gedanken über die eigenen Vorurteile machen darf und sich überlegen kann, ob man in der einen oder anderen Situation mit gedruckten Informationen nicht doch besser gefahren wäre. Und ob man mangels Kenntnis von Alternativen nicht doch genau das Gleiche macht, wie alle anderen. So wie damals meine ehemalige Arbeitskollegin. Schreibt mir eure Ideen in die Kommentare.

Hinweis: Falls dir der Text bekannt vorkommt – dies ist eine sprachlich stark überarbeitete Neuversion eines Artikels von 2014. Damals gab es zum Artikel noch eine Blog-Parade. Viele teilnehmende Blogs findest du hier noch immer.

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